„Text gegen Pizza“
Gegen Rassismus: Das kreative Konzept Waldseer Schülerinnen zu Anne Frank
Bad Waldsee / Lesedauer: 5 min

Wie bekommt man Jugendliche dazu, sich für Themen wie Vertreibung, Ausgrenzung und Rassismus zu interessieren und im besten Fall zu engagieren? Eine handvoll Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Bad Waldsee zeigt, wie es geht. Am 27. Juni wird die von ihnen organisierte Ausstellung zu Anne Frank mit einem kreativen Rahmenprogramm im Gymnasium Waldsee eröffnet.
Vor rund zwei Jahren wollten zwei Schülerinnen aktiv etwas gegen Ausgrenzung tun und gründeten eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema. Die Gruppe wuchs. Seitdem trifft sich die AG Agieren circa alle zwei Wochen. Bei einem Ausflug ins Jüdische Museum nach Augsburg stießen sie auf die Wanderausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte.“ Die Ausstellung packte die Jugendlichen derart, dass sie beschlossen, die Wanderausstellung des Anne Frank Zentrums aus Berlin nach Bad Waldsee zu holen.
Schüler bringen eigeninitiativ Ausstellung nach Waldsee
Es blieb nicht bei der Idee. Viele Wochen rauchender Köpfe, Anträge schreiben und Brainstorming liegen hinter ihnen. Mit Erfolg. In wenigen Wochen wird die Ausstellung an ihrem Gymnasium eröffnet. Caroline Kopf und Nadine Späth, zwei Schülerinnen der Gruppe, erzählen beim Pressegespräch an der Schule von der Entwicklung.
Sie wirken bescheiden - obwohl das Projekt viel Arbeit bedeutete und eine Stange Geld gekostet hat. Eine Summe von 14.000 Euro kam mithilfe verschieder Stiftungen und Spenden zusammen. Jetzt stecken sie in den letzten Zügen für die Vorbereitung. Eröffnung ist am 27. Juni.
Um in das Thema Judenverfolgung in Deutschland eintauchen zu können, reiste die Gruppe nach Berlin. Intensive Tage mit einem Besuch im Anne Frank Zentrum und dem Holocaustdenkmal halfen den Schülerinnen und Schülern, sich tief auf das Thema einzulassen. Pate zu dem Projekt ist der Jugendseelsorger David Bösl. Er begleitet die Gruppe bei dem Projekt und ist begeistert von dem Engagement der Schüler. „Es ist eine tolle Gruppe. Mir macht die Arbeit mit ihnen viel Spaß“, erzählt er.

Schüler führen Schüler
Das Konzept unterscheidet sich deutlich von klassischen, oftmals ermüdenden Ausstellungen mit Text, Text und noch mehr Text. Die richtige Sprache für Jugendliche zu finden, stand ganz oben und ist mit den sogenannten Peer-Guides optimal umgesetzt: Schüler führen durch die Ausstellung.
Damit hätten sie auch das Interesse bei den Mitschülern wecken können, erzählt die 17-jährige Kopf. Unterstützt bei der Suche hat sie ihr Lehrer Jan Wenzel. Insgesamt werden 30 Schülerinnen und Schüler in der Rolle „Jugendliche für Jugendliche“ ausgebildet und arbeiten später in Zweier-Teams Teams. Mitarbeiter des Anne Frank Zentrums kommen eigens aus Berlin für die Schulung. Wer Spaß an der Rolle des Peer-Guides bekommen hat, kann sich danach zum Anne Frank Botschafter oder zur Botschafterin ausbilden lassen.

Rahmenprogramm von Schülern gestaltet
Die Schülerinnen sind vom Ausstellungskonzept begeistert. Kopf schwärmt: „Es ist absolut inklusiv und interaktiv.“ Die Ausstellung besteht aus einem historischen und einem aktuellem Teil. Der Gedankenraum, in dem Zitate von Anne Frank zu hören sind, holt diese dunkle Vergangenheit direkt ins Heute und lässt niemanden kalt. Der aktuelle Teil geht die großen Fragen an: Wer bin ich? Wen schließe ich aus? Was kann ich bewirken?
Die Ausstellung zu den Erinnerungen des jüdischen Mädchens, das mehrere Jahre versuchte, mit seiner Familie den Nazis zu entrinnen, ist das eine. Das Rahmenprogramm das andere. Das sei, neben dem Ausflug nach Berlin, das beste am Projekt, finden die beiden Schülerinnen. Denn hier können sie selbst kreativ werden und sich medientechnisch austoben.
Text gegen Pizza - wer sich traut, kriegt was Knuspriges
Unterstützung bekamen sie von Kim-Frances Braun und Jan Wenzel, zwei Lehrkräften an der Schule. Braun knüpfte Kontakt zu einem früheren Uniprofessor, der sich zum Thema Rassismus auskennt. Die Bundestagsabgeordnete Agniescza Brugger wird kommen und sich dem Gespräch mit den Schülern stellen. Waldsees Experte für Historisches, Stadtarchivar Michael Wild, wird mit den Schülern eine Zeitreise in die Jahre des Nationalsozialismus in ihrer Stadt unternehmen.
Aber es darf auch unkonventionell und flippig werden. Die Idee „Text gegen Pizza“ wurde geboren. Hier dürfen die Schüler eigene Texte, Gedanken, Gedichte einreichen - für knackige Texte gibt es knusprige Pizza, eigens von Pate David Bösl im mobilen Holzkohleofen vor Ort gebacken.
Poetry Slam und Kinofilm
Sogar einen Poetry Slam mit dem beliebten Konzept des Open Mic - jeder, der mag, darf ans Mikrofon vortreten und vortragen - wird stattfinden. Der bekannte Slammer Marvin Suckut wird kommen und das Ganze moderieren - einen eigenen Text zum Thema Ausgrenzung bringt er mit. „Beim Poetry Slam dürfen die Themen weiter gefächert sein“, erzählt Braun. Es solle sich nicht nur am Nationalsozialismus orientieren.
Das Seenema Kino zeigt den Film „Der lange Schatten des Schwiegens“ des Waldseers Rudolf Leiprecht. Dieser hat durch seine jüdische Mutter und den deutschen Soldatenvater das brisante Thema einer verbotenen Liebe hautnah erlebt und mit Erik Willems und Gerard Leenders auf die Leinwand gebracht.
Auch Lehrerin Braun, die unter anderem Gemeinschaftskunde unterrichtet, ist von dem Projekt begeistert. „Kontakte zu anderen Universitäten zu knüpfen ist bereichernd“, sagt sie. Und der aktuelle Bezug des Themas sei ja das Spannende. Die Ausstellung ist in erster Linie für Schülerinnen und Schüler gedacht, aber es wird auch zwei öffentliche Führungen geben. Zu sehen ist sie bis zum 18. Juli.
Öffentliche Führungen: Dienstag, den 2. Juli und Dienstag den 9. Juli jeweils um 18:00 Uhr. Treffpunkt Eingang Gymnasium Bad Waldsee, Dauer circa 90 Minuten.